Ein Klavier am Gehsteig und daneben viele Leute aus aller Welt: Das Projekt Open Piano for Refugees fördert Integration und die Begegnung im öffentlichen Raum. Der Pianist und Musiklehrer Richard Seniow war von Anfang an dabei und erzählt uns von Klängen, die Grenzen überwinden und von großem Potenzial, das dort gesehen wird und gehört werden muss. 

Politikon: Was ist dein Job bei Open Piano for refugees

Richard Seniow: Ich betreue seit drei Jahren Klaviere bei den öffentlichen Veranstaltungen und gebe Klavier-Unterricht im dazugehörigen Musikinstitut DoReMi.  

Politikon: Was kann man sich unter einer Veranstaltung von Open Piano for Refugees vorstellen?

Open Piano am Graben im Jahr 2018.

Richard Seniow: Die Idee ist die, dass ein Klavier im öffentlichen Bereich für jede:n, der:die spielen mag, zur Verfügung gestellt wird. Man muss nicht gut spielen können, um spielen zu dürfen und jede:r darf drankommen! Oft gibt es auch spontane Jamsessions. Besonders daran ist auch, dass das Projekt an verschiedenen Standorten stattfindet. 

Politikon: Für welche Werte steht das Projekt? 

Richard Seniow: Für Toleranz sowie die Integration von Flüchtlingen und für einen einfachen und kostenlosen Zugang zur Musik. Das Musikinstitut DoReMi gehört übrigens zum Projekt dazu: Dort bekommen Flüchtlinge und sozial benachteiligte Familien Instrumental-Unterricht. 

Es gibt viele Sparten: zum Beispiel Klavier, Geige, Bass und viele orientalische Instrumente, wie beispielsweise das Oud und Saz. Diese Stunden werden durch Spenden finanziert (Spendenboxen oder online). Die Schüler:innen zahlen dabei so viel sie können. Wer nichts zahlen kann, kann auch durch eine sogenannte Musikpatenschaft unterstützt werden. Am Ende jedes Semesters gibt es übrigens einen Klassenabend, wo die Schüler:innen vorspielen können.  

Foto von Richard Seniow am Keyboard

Politikon: Bitte beende meinen Satz: Musik integriert, weil … 

Richard Seniow: … es in der Musik keine Grenzen gibt. Es ist eine Sprache, die jede:r versteht. Sie berührt jeden Menschen – ganz egal, woher die Person kommt oder was sie erlebt hat. 

Politikon: Was hat dich in deiner Zeit als Klavierlehrer besonders geprägt? 

Richard Seniow: Ich finde es toll, wenn Schüler:innen, die ganz ohne Klavier-Kenntnisse kommen, innerhalb von kürzester Zeit Noten lesen können, Stücke selbstständig umsetzen, eigene Lieder schreiben und vortragen. Ich hatte zum Beispiel eine syrische Schülerin, die spielte mir nach einem Jahr Unterricht ein Stück von Bach vor. 

Politikon: Pandemiebedingt sind viele künstlerische Vorhaben momentan leider auf Eis gelegt. Wie geht ihr damit um? 

Richard Seniow: Schüler:in und Lehrer:in lassen sich testen oder der Unterricht wird auf Zoom verlegt. Davor war es so, dass der Unterricht in kleinen Gruppen stattgefunden hat – also beispielsweise: Zwei Schüler:innen und eine Lehrperson. Eine Person aus Österreich und ein Flüchtling. Dieses Setting fördert die Integration: Man tauscht sich aus, lernt gemeinsam und geht zu Klassenabenden oder Veranstaltungen von Open Piano. Das bewirkt ein positives Miteinander. 

Politikon: Wie sind die Reaktionen auf Open Piano

Richard Seniow: Die meisten Reaktionen sind durchwegs positiv! Vereinzelt kommt es vor, dass jemand mit Vorbehalten reagiert, aber im Grunde ist das sehr selten. Meistens sind alle begeistert! Die Leute kommen aus den U-Bahnen oder Schnellbahnen, bleiben stehen, hören zu und genießen … Das macht einfach glücklich! Und: Jede:r kann mitmachen; vom/von der Uni-Professor:in bis zum Kleinkind! Es entstehen übrigens oft Freundschaften und Kollaborationen durch die Treffen. Noten werden ausgetauscht, es wird geplaudert … Da entstehen viele schöne Sachen. Schön wäre es noch, wenn wir noch mehr Open Pianos machen könnten und vielleicht mal einen fixen Standort hätten.

Kinder am Piano im Museumsquartier in Wien

Politikon: Über die Jahre habt ihr zahlreiche Preise mit eurem Projekt gewonnen. Die Liste auf eurer Homepage ist lang. Sogar der Bundespräsident Alexander van der Bellen kam zu einem eurer Events. Gratuliere! 

Richard Seniow: Danke! 

Politikon: Was wünschst du dir für Österreich? 

Richard Seniow: Mehr Toleranz und Offenheit. Und mehr zuhören. Zuhören ist irrsinnig wichtig. Man sollte nicht immer gleich Vorurteile haben, sondern auch mal sehen, was andere so mitbringen und was sie zu erzählen haben. Situationen entstehen lassen … und auch mal Humanismus vor Politik wählen. 

Richard Seniow hat Jazzklavier und -komposition in Frankreich studiert und arbeitet in Wien als Pianist, Produzent und Komponist. 

Fakten in Zahlen: 

  • Das Projekt betreut 160 Schüler:innen. Etwa die Hälfte davon hat einen Flucht- und/oder Migrationshintergrund. Die andere Hälfte ist aus Österreich. Es gibt 24 Musiklehrer:innen sowie über 25 Musikpat:innen. 
  • Die Schüler:innen bezahlen für ihre Stunden zwischen Null und 400€ pro Semester. 
  • 12 Musikfächer: darunter u.a. Oud, Saz, orientalischer Gesang, Gitarre, Percussion, Geige, Bass und Gitarre. 
  • Seit 2016 besteht Open Piano for Refugees in 28 Städten und fünf Ländern. 
  • DoReMi gibt es seit sieben Semestern.  

Homepage: 

https://dorepianoforrefugees.com

Werde Musikpat:in! 

https://openpianoforrefugees.com/doremi

Hanna Randall hat Musiksoziologie und Volksschullehramt in Wien studiert. Nebenbei singt sie in einer Band und erforscht die vielfältige Musik- und Kulturszene Wiens.

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