Beginnend mit dem 25. November starten jedes Jahr die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Weltweit nutzen Fraueninitiativen diese, um auf das Recht auf ein gewaltfreies Leben aufmerksam zu machen. 

Auch in Österreich sind jährlich unzählige Frauen von gewaltsamen Übergriffen betroffen. Allein 2021 wurden schon 30 Frauen von Männern ermordet. Hinter diesen Frauenmorden stecken Strukturen – toxische (= schädliche) patriarchale Strukturen, die nicht zu verleugnen sind. Denn Femizide sind nur die Spitze der Gewaltpyramide der strukturellen Gewalt an Frauen.

Österreich – Land der Femizide

Ein Blick in die Statistik zeichnet leider eine sehr traurige Realität: 30 Femizide und mehr als 50 Frauenmordversuche im Jahr 2021. Monatlich werden in Österreich mittlerweile etwa 3 Frauen ermordet – alle 1,5 Wochen eine und immer eine zu viel! 

Den Höchststand gab es im Jahr 2018 mit 41 Morden an Frauen in Österreich. Zum Vergleich: 2014 wurden 19 Frauen umgebracht. Innerhalb von 4 Jahren kam es zu mehr als einer Verdoppelung der Femizide – ein trauriger Rekord. Im EU-Vergleich sind wir sogar unter den Spitzenreitern. Laut einer Befragung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ist jede dritte Frau in der EU ab ihrem 15. Lebensjahr von sexueller Belästigung betroffen. Jede fünfte Frau erfährt körperliche und/oder sexuelle Gewalt und jede siebte Frau ist von Stalking betroffen.

Die Gefährder? In 91% der Fällen Männer und diese meist aus ihrem direkten Umfeld. 

Häusliche Gewalt richtet sich vor allem gegen Frauen: 20% aller Frauen sind davon betroffen. Somit sind nicht etwa, wie oft angenommen, dunkle Straßen oder Parks, sondern die eigenen vier Wände für viele Frauen der gefährlichste Ort. Dabei geht es auch im Privaten vor allem darum, bestehende Machtverhältnisse zu sichern. Aus diesem Grund ist Gewalt gegen Frauen kein privates, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Femizide sind die Spitze der Gewaltpyramide

Gewalt beginnt mit der Sprache, denn Sprache ist Macht: In vielen Fällen ermächtigt sie uns und kann daher auch zum Werkzeug von Machtmissbrauch werden. Gewalt beginnt nicht erst bei körperlichen Übergriffen, sondern deutlich früher – auf der sprachlichen Ebene. Der Gewalt gehen sexistische Witze und Sprache, Geschlechterklischees und die Objektifizierung, also das Behandeln von Frauen und Mädchen wie einen Gegenstand voraus. Sie legen das gesellschaftliche Fundament für die Gewalt, der Frauen in Österreich, Europa und weltweit ausgesetzt sind. 

Kriminalität gegenüber Frauen

Mündliche Gewalt beginnt oft scheinbar harmlos mit Zurechtweisungen oder ständiger persönlicher Kritik und endet bei Drohungen oder schweren Beleidigungen. Wenn auch nicht sofort sichtbar, hinterlassen verbale Übergriffe und emotionale Gewalt bei Betroffenen oft tiefe, seelische Narben. Diese „unsichtbare“ Gewalt zu erkennen und zu benennen ist für viele Frauen sehr schwer und erfordert viel Kraft.

Victim-Blaming im öffentlichen Diskurs

Vicitm Blaming Definition

Gerade die Medien könnten hinsichtlich Sprache und Sensibilisierung zu Gewalt an Frauen eine wichtige Rolle spielen. Voraussetzung dafür wäre eine sensible Berichterstattung, die strukturelle Gewalt an Frauen aktiv thematisiert und nicht toleriert. In der Realität sieht das leider oft anders aus: 2019 wurde eine breit angelegte Studie zur Medienberichterstattung über Gewaltdelikte an Frauen von der Volksanwaltschaft gemeinsam mit dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser und dem Zentrum für Gerichtsmedizin der MedUni Wien durchgeführt. Sie bestätigt, dass Gewalt an Frauen medienübergreifend kaum beleuchtet wird. Es sind fast ausschließlich Einzelfälle, die im Fokus stehen. Über Gewalt an Frauen wird oft erst dann berichtet, wenn die Gewaltspirale im Mord eskaliert. Die alltägliche und häusliche Gewalt, die zuvor stattfindet, wird meist verschwiegen. Insbesondere in den Boulevardmedien überwiegt noch immer das Ausschlachten von Stories zulasten der Betroffenen und ihren Angehörigen. 

Darüber hinaus werden Täter sogar geschützt: weder toxische Männlichkeit oder aggressives Verhalten wird kritisiert – es werden Rechtfertigungen für die Tat gesucht, wie zum Bespiel zu anzügliche Kleidung. Dadurch kommt es zur Täter-Opfer-Umkehr: Die Frau wird aufgrund ihrer Bekleidung plötzlich zur Beschuldigten. Das führt zur Verharmlosung von Gewalt an Frauen und folglich zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Dementsprechend stimmten im Eurobarometer 2016 ein Viertel der befragten Österreicher:innen der Aussage zu, dass von Gewalt betroffene Frauen diese selbst provoziert haben.

Ursachen von Gewalt

Gewalt an Frauen beginnt nicht erst mit Schlägen oder Mord, sondern mit einer frauenverachtenden Haltung und Äußerungen wie “Frauen gehören in die Küche” oder “Du schlägst wie ein Mädchen”. Unsere tägliche Sprache trägt maßgeblich zur Vorstellung von Männern als übergeordneten Menschen bei, die Frauen besitzen und kontrollieren müssen. Zugleich führt dieses ungleiche Denken zu struktureller Benachteiligung von Frauen, die sich z.B. durch deutlich schlechtere Entlohnung und niedrigere Pensionen äußert und Frauen dann noch mehr in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwingen, die sie auch verwundbarer für Gewalt macht.

Dementsprechend sind, neben psychischen und emotionalen Extremsituationen, häufig Konflikte des Alltagslebens Auslöser für Gewalt, z.B.  das Bedürfnis nach Kontrolle verbunden mit der „Bestrafung“ der Frau sowie sexuelle Ansprüche. Gewalt passiert nie aus Versehen. Sie wird bewusst eingesetzt, um Macht zu demonstrieren und das Gegenüber zu kontrollieren. Diese Macht- bzw. Besitzansprüche sowie toxische Männlichkeit sind jedoch nicht angeboren, sondern Ergebnis von Erziehung und Umfeld. Sie repräsentieren bestehende Wertvorstellungen einer Gesellschaft.  

Krisen verstärken Gewalt an Frauen 

Gesellschaftliche Krisen wie z.B. die Corona-Krise verstärken Gewalt an Frauen zusätzlich. Frauenhäuser und Gewaltschutzeinrichtungen schlugen bereits vor und während des ersten Lockdowns Alarm. Zurecht, denn die Zahlen von häuslicher Gewalt an Frauen und Kindern sind seitdem tatsächlich gestiegen. So sind die Anrufe bei der Frauenhelpline beispielsweise um 40% und die Betretungsverbote um 22% gestiegen. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch viel höher, da viele Frauen während der Lockdowns nicht die Möglichkeit haben, ihren Gefährdern zu entfliehen oder sich an Gewaltschutzeinrichtungen zu wenden.

Um die Gewaltprävention sowie den Gewaltschutz nachhaltig auszubauen, braucht es aber mindestens 228 Mio. Euro. Bestehende Gewaltschutz- und Präventionsstrukturen waren bereits vor der Krise massiv unterfinanziert. Doch Forderungen nach einer Ausfinanzierung bleiben auch unter Türkis-Grün ungehört. Trotz 30 Femiziden im Jahr 2021 ist nur ein Zehntel der geforderten Summe im neuen Budget der Bundesregierung vorgesehen.  

Gewalt an Frauen und Mädchen ist und bleibt in Österreich daher die größte Pandemie. 

Wir müssen uns endlich eingestehen, dass wir in Österreich ein gesellschaftliches Problem mit männlicher Gewalt gegen Frauen haben. Zur Lösung dieses Problems braucht es allerdings politischen Willen und die Mithilfe von uns allen. Es erfordert mehr Bewusstseinsarbeit und Sensibilisierung, bereits ab dem Kindesalter. Wir müssen vorhandene und gelebte Männlichkeitsbilder als Gesellschaft überdenken, damit diese nicht weiter wiederholt werden. Das setzt auch eine sensible Berichterstattung in den Medien, ohne Verharmlosungen von Gewalt voraus. Auch Behörden und Exekutive müssen ausreichend geschult sein, damit sie Gefahren richtig beurteilen können und Frauen im Gegenzug auch Vertrauen in sie haben. Die Tatsache, dass dieses Jahr nur bei einem Frauenmord im Vorfeld die Polizei gerufen wurde, verdeutlicht diesen Bedarf.

Frauenhelpline 0800 / 222 555
frauenhelpline.at

Auch im Lockdown ist die FRAUENHELPLINE als Erst- und Krisenberatung für Frauen, Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind, da:
Wenn du jemanden kennst oder selbst von seelischer oder körperlicher Gewalt betroffen bist, melde dich unter 0800 222 555. Anonym. Kostenlos. Rund um die Uhr.

QUELLEN:
https://www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten
https://fra.europa.eu/de/publications-and-resources/data-and-maps/gewalt-gegen-frauen-eine-eu-weite-erhebung
https://www.interventionsstelle-wien.at/download/?id=777
https://jbi.or.at/wp-content/uploads/2020/11/Perspektiven_2020_13_Gewalt-gegen-Frauen.pdf
https://www.catcallsofnyc.com
https://wien.orf.at/stories/3109880/
Studie zur Medienberichterstattung über Gewaltdelikte an Frauen im Jahr 2019, die von der Volksanwaltschaft gemeinsam mit AÖF – Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser und dem Zentrum für Gerichtsmedizin der MedUni Wien initiiert wurde: https://www.contentadmin.de/contentanlagen/contentdatei13591.pdf
Eurobarometer “Gender Based Violence” 2016: http://publications.europa.eu/resource/cellar/f60437fd-e9db-11e6-ad7c-01aa75ed71a1.0001.01/DOC_1
https://www.wien.gv.at/presse/2021/08/25/stadt-wien-und-spar-starten-initiative
https://www.frauenring.at/gewaltschutz

https://www.derstandard.at/story/2000131401949/kein-freund-und-helfer-wenn-frauen-in-gefahrensituationen-nicht-auf

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