Die finnischen Schüler:innen haben 2003 zum zweiten Mal beste Resultate in der PISA-Studie erzielt. Was also ist das Herausragende am finnischen Schulsystem? Laut dem analytischen Bericht der OECD ist es vor allem Finnlands gleichmäßige Förderung aller Kinder.

In Österreich werden „Eliteschulen“ oftmals als Krönung des Bildungswesens gesehen – aber auf wessen Kosten geht dieser Fokus? Gute Bildung für alle ist nicht nur fair, sie ist auch sinnvoll. Wo Kindern Chancen verwehrt werden, bleibt ein Potential ungenützt, das unsere Gesellschaft gut brauchen könnte.

Selektion der „Elite“ kostet Allgemeinheit

Kaum ein Bildungssystem produziert „bildungsferne Schichten“ so erfolgreich wie das österreichische. Die frühe Selektion in Gymnasiast:innen und Hauptschüler:innen hat weitaus mehr mit Herkunft und Bildungsstand der Eltern zu tun als mit den Fähigkeiten der 10-jährigen Kinder, über deren Zukunft hier entschieden wird – mit weit reichenden Folgen. Jedoch nicht nur persönlich – denn die ökonomischen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sind gravierend. Wer weniger Bildung genossen hat, kann im Schnitt weniger zum Reichtum des Landes beitragen. Das Risiko für Armut steigt, damit auch das Risiko, Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, steigt. Dazu kommen die Kosten für alle indirekten Folgen von Armut, etwa schlechtere psychische und physische Gesundheit. Die gesellschaftlichen Folgen sind enorm: Soziale Probleme jeglicher Art werden durch die Chancenund Aussichtslosigkeit großer Bevölkerungsteile verschärft oder erst ausgelöst.

Masse mit Klasse

Das finnische System geht einen anderen Weg: Viel wird unternommen, um allen Kindern eine gemeinsame Ausbildung auf hohem Niveau zu ermöglichen. Nicht nur werden die ersten 9 Schulstufen als Gesamtschule geführt, wobei jedes Kind das Recht hat, auf der regional zuständigen Schule zugelassen zu werden. Auch werden durch ein überregional angelegtes Förderprogramm für „schwächere“ Schulbezirke die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Schulen so gering wie möglich gehalten. Laut OECD sind lediglich 5% der Leistungsunterschiede finnischer Schüler:innen auf Unterschiede zwischen Schulen zurückzuführen – im OECD Schnitt sind es ein Drittel.

Gesunde Mahlzeiten und „Nachhilfe“ inklusive

Mit sieben Jahren beginnen Kinder in Finnland die Gesamtschule; 6 Jahre Grundausbildung mit einem/einer Hauptlehrer:in, dann 3 Jahre mit Fachlehrer:innen. Schulerhalter sind die Gemeinden, die verpflichtet sind, nicht nur für entsprechenden Unterricht zu sorgen, sondern auch täglich eine gesunde Mahlzeit, Schulbücher sowie bei großen Entfernungen Transport zur Verfügung zu stellen – alles kostenlos.

Individuelle Lernpläne bei Lernschwierigkeiten

Jedes finnische Kind hat das Recht auf höhere Bildung. Aus diesem Grund sind spezielle Maßnahmen für Kinder mit Lernschwierigkeiten vorgesehen. Bei kurzfristigen Lernschwierigkeiten gibt es speziellen Unterricht durch den:die Klassenlehrer:in während oder nach dem normalen Unterricht. Dies wird mit den Eltern abgesprochen, und sollte sofort beginnen, wenn Lernschwierigkeiten erstmals auftreten. Bei längerfristigen Schwierigkeiten sowie für Kinder mit speziellen Bedürfnissen (etwa bei Anpassungsschwierigkeiten, langer Krankheit, Behinderung oder emotionalen Problemen) wird durch ein Team von Lehrer:innen, Eltern und Spezialist:innen ein individueller Lernplan für das Kind erstellt. Ein spezieller Unterricht – etwa in Kleingruppen – oder „Teamteaching“ im Klassenzimmer wird für diese Kinder den normalen Unterricht ergänzen oder teilweise ersetzen. Das Ausmaß wird im Lernplan festgelegt und kann einzelne Stunden umfassen, oder wo nötig etwa bei schwereren Behinderungen – auch den gesamten Unterricht.

Gesamtschule als Programm

Mit Hilfe dieser Maßnahmen ist es möglich, alle Schüler:innen eines Jahrgangs gemeinsam zu unterrichten und dennoch auf Stärken und Schwächen der Kinder individuell einzugehen. Die Lehrer:innen werden für die Fördermaßnahmen speziell ausgebildet. Insgesamt etwa 20% aller Schüler:innen erhalten zeitweise diese Form des speziellen Unterrichts, vor allem in den ersten Schuljahren.

Gesamtschule braucht – wie jede Schulform – einen Fokus auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schüler:innen. Niveauvolle Ausbildung braucht Investition, keine Sparpakete. Im Unterschied zu selektiven Schultypen ermöglicht gemeinsamer Unterricht jedoch eine tatsächlich gleichwertige Ausbildung für alle, und lässt die Schüler:innen die Höhen und Tiefen von Kindheit und Jugend in einem sicheren Rahmen durchleben, bei dem Herkunft, problematische Umstände oder ein schlechtes Jahr nicht den dramatischen Verlust von Chancen für die Gestaltung des eigenen Lebens nach sich ziehen können.

QuelleFreundschaft 2007/2
Die Vorgängerin von politikon.at war die "Freundschaft", das Mitgliedermagazin der Jungen Generation in der SPÖ Wien. Sie erschien über ein Jahrzehnt und in ihr wurden viele zeitlose oder noch immer aktuelle Artikel publiziert. Wir möchten sie den*die Leser*innen von politikon.at nicht vorenthalten.

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