Sonntag, der 08. Juli 2021 

Der Präsident der USA, Joe Biden, gibt eine Pressekonferenz1 zum Truppenabzug der US-Armee aus Afghanistan. 
In dieser Pressekonferenz1 macht Präsident Biden klar, dass es kein weiteres Engagement der US-Armee in Afghanistan mehr geben wird. Der Truppenabzug, den sein Vorgänger begonnen hat, wird durchgezogen. 

Sonntag, der 15. August 2021 

Nach einem raschen Vorstoß der Taliban an allen Fronten fällt die afghanische Hauptstadt Kabul. Der demokratisch gewählte Präsident Ashraf Ghani hat das Land verlassen. Der Innenminister verkündet eine friedliche Machtübergabe an die Taliban2

Der Anfang vom Ende 

Für viele Menschen in Afghanistan ist die Machtübernahme der Taliban der Anfang vom Ende, das Ende der Hoffnung auf ein friedliches Leben in einem sicheren Land, das Ende der Hoffnung auf ein besseres Leben für ihre Kinder.

Ein Vorort in Kabul
Ein Vorort von Kabul, 2002 © Crown Copyright

Als die Taliban 1996 das erste Mal die Macht im Land an sich gerissen hatten, waren die Konsequenzen für die Bevölkerung dramatisch. Das Land wurde zum Gottesstaat umgebaut: Musik, Sport, Bilder und Fernseher wurden verboten, die Scharia galt als einzige Rechtsordnung. Viele Schulen und Universitäten wurden geschlossen. Frauen konnten sich fortan nur in Ganzkörperverschleierung und männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit aufhalten. Gegner:innen der Taliban wurden auf grausamste Art hingerichtet. 

All diese Repressalien drohen der Bevölkerung nun wieder. Doch diesmal gibt es noch eine weitere Gruppe an Feinden für die Taliban: Die „Kollaborateur:innen“ mit dem Westen. Jene Frauen und Männer, die mit den westlichen Besatzer:innen in den letzten 20 Jahren zusammengearbeitet haben, stehen vermutlich ganz oben auf der Liste der Feind:innen der neuen Machthaber. 

Vergessene Freunde 

Tausende Afghan:innen haben sich in den Dienst der NATO geführten Koalition gestellt – im Glauben an eine bessere Zukunft für ihr Land. Sie glaubten mit den Befreier:innen aus dem Westen käme auch eine demokratische, progressive Gesellschaft. Sie wollten sich am Aufbau dieser Gesellschaft beteiligen und müssen jetzt vielleicht mit ihrem eigenen oder dem Leben ihrer Familien dafür bezahlen. Trotz mehrerer Bekräftigungen der Verantwortlichen der westlichen Alliierten, die „Ortskräfte“ außer Landes bringen zu wollen, wird das wohl schwieriger, als es in den emotional aufgeladenen Statements westlicher Politiker klingt. Die afghanischen Helfer:innen sind über das ganze Land verstreut, viele haben keine Transportmöglichkeit. Die einzige Chance außer Landes zu kommen, ist den Flughafen von Kabul zu erreichen, der im Augenblick (17.08.21 16:20) noch von alliierten Soldaten gesichert wird. 

Vom Partner zum Problem 

Für jene, die es in eine der Militärmaschinen schaffen, geht es nicht in die USA oder nach Deutschland. Der Plan so gut wie aller alliierten Mächte sieht vor, die afghanischen Ortskräfte in „sichere Drittstaaten“ zu bringen. Dort können sie dann Asylanträge oder, im Falle der USA, Anträge auf Special Immigrant Visa3 stellen. 

Doch was heißt das für die Betroffenen? Weder die USA noch die europäischen Staaten haben sich in den letzten Jahren mit Ruhm bekleckert, wenn es um Asyl für Menschen in Not geht. 

Selbst wenn es die Helfer:innen aus Afghanistan bis in ihre Zielländer schaffen, blicken sie einer ungewissen Zukunft entgegen. Statt ein Leben in einem modernen, sicheren und progressiven Afghanistan, das sie mit aufgebaut haben, wartet ein Leben in einem fremden Land. Rassistische Übergriffe, Perspektivenlosigkeit und Armut sind nur ein paar der Dinge, mit denen jene Menschen leben müssen, die in gutem Glauben an den Schutz ihrer Partner aus den USA und Europa für die Alliierten in Afghanistan gearbeitet haben. 

Es überrascht kaum noch: Sie werden Teil eines Problems, nicht einer Lösung. 

Vom Westen nichts Neues 

Statistik Afghanistankrieg

Das Schicksal dieser Menschen ist nur ein Fall in einer andauernden Reihe von Fällen, in denen lokale Verbündete von einer westlichen Koalition im Stich gelassen wurden. 

Als sich die amerikanischen Truppen unter Präsident Trump aus Rojava zurückgezogen haben, wurde das autonome Gebiet von der türkischen Armee angegriffen. Zehntausende gefangene Kämpfer des „Islamischen Staates“, die von den kurdischen Milizen bewacht wurden, kamen auf freien Fuß, tausende Kurd:innen starben beim Abwehrkampf gegen die Türken.  

Die Truppen der YPG und Peschmerga (kurdische Milizen) standen in den Monaten zuvor an vorderster Front im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und das Regime von Präsident Assad aus Syrien. Sie dienten de facto als Bodentruppen der westlichen Koalition und hatten auch die schwersten Verluste zu beklagen. Für sie und viele andere gab es keine Hilfe nach dem Abzug der Koalition. Sie wurden ihrem Schicksal überlassen. 

Montag, 16. August 2021 

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Joe Biden, gibt eine Pressekonferenz1 zum Truppenabzug der US-Armee aus Afghanistan. 
Er stellt klar, dass man aus amerikanischer Sicht alles getan habe, um Afghanistan auf den Abzug und den Kampf gegen die Taliban vorzubereiten. Die USA hätten getan was sie konnten, offenbar sei der Kampfeswille der afghanischen Truppen nicht stark genug. 

Zeitgleich sieht man auf fast allen Nachrichtenplattformen die Verzweiflung der Afghan:innen, die sich an startenden Flugzeugen festzuhalten versuchen, um dem Elend, das sie erwartet, entkommen zu können. 

Quellen: 

1: https://www.youtube.com/watch?v=i7YQDHHUV7M&ab_channel=AlJazeeraEnglish 

2: https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-kabul-ghani-101.html 

3: https://travel.state.gov/content/travel/en/us-visas/immigrate/siv-iraqi-afghan-translators-interpreters.html 

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