„Eine sozialdemokratische Gemeinderatsmehrheit kann auch im kapitalistischen Staat zeigen, welch schöpferische Kraft dem Sozialismus innewohnt.“

Robert Danneberg

„Das Rote Wien“ ist ein weltweit beispielloses, gesellschaftspolitisches Experiment, das in den Jahren von 1918 bis 1934 von sozialdemokratischen Stadtregierungen unter Jakob Reumann und später Karl Seitz umgesetzt wurde. Im „Neuen Wien“ sind in kürzester Zeit umfassende Reformen im Wohnbau, bei Gesundheitsversorgung, Bildung und der Sozialpolitik auf den Weg gebracht worden. Aber das „Rote Wien“ ist nicht nur terminus technicus, sondern bis heute Vorbild für Sozialdemokrat:innen und Kommunalpolitiker:innen. 

Bereits bei den ersten demokratischen Wahlen 1919 konnte die Sozialdemokratie mit 54,2 Prozent Stimmenanteil das absolute Vertrauen der Wiener Bevölkerung erreichen. Dieser historische Wahlsieg war Grundstein zur Errichtung eines sozialeren, gerechteren und lebenswerten Wien – der Stadt, auf die wir heute zu Recht stolz sind! 

Am 1. Jänner 1922 wurde Wien auch zum eigenständigen Bundesland. Aufgrund der neu erlangten Finanzhoheit, konnten nun Abgaben eingehoben und die finanziellen Mittel für das Projekt „Neues Wien“ bereitgestellt werden.

„Wer soll die Kosten des Krieges tragen; wer soll die Steuern zahlen, die Armen oder die Reichen?“

Hugo Breitner

In der wirtschaftlich angespannten Nachkriegszeit gelang es Finanzstadtrat Hugo Breitner, die Finanzlage durch ein neues Besteuerungssystem – die berühmten „Breitner-Steuern“ – zu sanieren. Zuerst führte er eine direkte Luxussteuer ein. Diese musste zahlen, wer sich leisten konnte Nachtlokale, Bars, Bordelle, Kabaretts, Pferderennen oder auch Boxkämpfe zu besuchen, wer ein Auto besaß oder sich ein Rennpferd hielt, wer in Luxusvillen oder Luxuswohnungen lebte. Weitaus einträglicher waren aber die Fürsorgeabgabe (mussten all jene entrichten, die zu Erwerbszecken fremde Arbeitskräfte beschäftigten) und die 1923 eingeführte, progressive Wohnbausteuer.

„Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen!“

Karl Seitz

Dank der Einnahmen aus sozial gerechten Steuern, konnte die Sozialdemokratie voller Gestaltungswille die Lebenssituation der Wiener:innen nachhaltig verbessern. Denn um die Jahrhundertwende verfügten 95 Prozent aller Wiener Wohnungen weder über WC noch eigenen Wasseranschluss und bestanden aus Küche und Kabinett. In diesen „Löchern“ wohnten meist mehr als 10 Personen. Um sich die Miete – rund 30 Prozent eines Durchschnittseinkommens – leisten zu können, wurden noch zusätzliche „Bettgeher“ aufgenommen. Der kommunale Wohnbau wurde daher zum Kernthema sozialistischer Kommunalpolitik. 

Im täglichen Leben der Wiener:innen sollte der Unterschied zwischen kapitalistischem Wohnungswucher und sozialistischer Wohnungspolitik erlebbar werden. Zwischen 1923 und 1933 wurden in Wien rund 64.000 neue Wohnungen in „Volkswohnhäusern“, „Superblocks“ und „Volkswohnpalästen“ errichtet. Jede Wohnung verfügte über ein eigenes WC und Wasseranschluss und die Miete im Gemeindebau betrug nur 4 Prozent des Durchschnitts-Einkommens eines Arbeiters/ einer Arbeiterin. Der Gemeindebau war mehr als eine Unterkunft, er war ein Zuhause. Er bot ein breites Infrastrukturangebot wie Geschäfte und Ateliers, sowie Bildungs-, Gesundheits- und Kultureinrichtungen. Bis heute ist er ein weltweit einzigartiges Konzept!

„Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder.“

Julius Tandler

Auch die Gesundheitspolitik des „Roten Wien“ war progressiv und internationales Vorbild. Der Stadtrat für Wohlfahrts- und Gesundheitswesen, Julius Tandler, erkannte als erster den Zusammenhang zwischen tristen sozialen Verhältnissen und vielen (Folge)Erkrankungen. Daher entstand in Wien ein engmaschiges, bezirksübergreifendes Betreuungsnetz an Kindergärten, Horten, Mutterberatungsstellen und Schulzahnkliniken. Um die Körperhygiene zu fördern, wurden zahlreiche städtische (Tröpferl)Bäder errichtet. Sie sollten Arbeiter:innen dasselbe Angebot bieten, das vorher Privileg der Reichen war – z.B. das Amalienbad in Favoriten mit beeindruckender Art-Déco-Innenausstattung. 

Soziale Hilfe wurde unter Tandler von einer nach Gutdünken gewährten Gnade zum Recht für alle – damit setzte das „Rote Wien“ einen internationalen Meilenstein! 1927 führte Tandler das kostenlose Säuglingswäschepaket und gesundheitliche Kontrollen für werdende Mütter ein. Ein Service, das 1947 – nach den beiden Faschismen die Wien fast vernichteten – von der sozialistischen Stadtregierung wieder aufgenommen und bis heute fortgeführt wird! 

Vieles, das uns Wiener:innen heute selbstverständlich erscheint, ist nur dank dem Mut und Gestaltungswillen sozialdemokratischer Politiker:innen in Wien Realität und Alltag geworden. Seit 91 Jahren arbeitet die SPÖ Wien mit Begeisterung und Liebe an der lebenswertesten Stadt der Welt.

QuelleFreundschaft 2010/4
Die Vorgängerin von politikon.at war die "Freundschaft", das Mitgliedermagazin der Jungen Generation in der SPÖ Wien. Sie erschien über ein Jahrzehnt und in ihr wurden viele zeitlose oder noch immer aktuelle Artikel publiziert. Wir möchten sie den*die Leser*innen von politikon.at nicht vorenthalten.

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