Flaggen von extremistischen Organisationen werden gehisst, eine Horde bewaffneter Männer stürmt  das Regierungsgebäude, ein ganzes Land ist erstarrt und überwältigt von der Geschwindigkeit, mit der das Undenkbare und gleichzeitig Erwartete passiert. Nein, das ist keine Rückschau auf den 6. Jänner in Washington, das ist das Geschehen in Kabul im August 2021.

Die Ähnlichkeiten sind da, sie sind nicht zu übersehen und als Linke müssen wir diese auch benennen: totalitäre, gewaltbereite, extrem konservative, menschenverachtende, toxisch-männliche und im Kern demokratiefeindliche Organisationen rund um den Globus. Was gerade in Afghanistan passiert, geht mit der Entwicklung vieler sozialer Bewegungen der letzten Jahre einher, mit einem frischen Aufwind für alles, was Rückschritt bedeutet. Die Taliban sind zwar keine neue Gruppierung, sondern terrorisieren bereits seit Jahrzehnten die Region, die Welt um sie herum ist aber inzwischen eine andere. Die USA sind nicht mehr die Fackelträgerin einer (vermeintlich) liberalen und demokratisch westlichen Welt, sondern kämpft mit ihrem hauseigenen Sumpf von rechtsextremen und militanten Konservativen bis hinein in eine Regierungskrise. Die westliche Welt steht nicht mehr geschlossen „gegen die Islamisten“ ein, sondern zerbricht innerlich an immer mehr Konfliktlinien.

Ein Gründer der "Identitären Bewegung" sympathisiert sich mit den Taliban
Ein Gründer der „Identitären Bewegung“ sympathisiert sich mit den Taliban

Einerseits setzen sich immer mehr autoritär- konservative Regierungschefs durch und werfen die Demokratien in Österreich, Ungarn, Polen, Russland, den USA usw. um Jahrzehnte zurück. Andererseits erstarkt seit Beginn der Covid-19 Pandemie gleichzeitig auch ein generelles Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber den demokratischen Institutionen, der Wissenschaft als Grundlage unseres politischen, gesellschaftlichen und medizinischen Handelns und auch gegenüber sozialer Errungenschaften wie der Emanzipation und Gleichstellung von Frauen*, der Inklusion von Menschen aus marginalisierten Gruppen und dem internationalen Solidaritätsprinzip. Diese Entwicklung ist gerade für uns Linke keine Überraschung: Alle eben aufgezählten Werte wurden in den letzten Jahren systematisch ausgehöhlt und für heuchlerische Zwecke missbraucht. Unter dem Deckmantel von Demokratie und Freiheit wurde beinharte wirtschaftliche Ausbeutung von Land und Leuten vorangetrieben, nicht nur in Afghanistan, sondern auf der ganzen Welt. Die Emanzipation von Frauen* wird nach wie vor als Legitimation für Ausländerhass missbraucht, während die zahllosen Femizide durch „autochtone“ Österreicher als einzelne, tragische Beziehungsdramen inszeniert werden.

Durch das Internet verbreiten sich nicht nur Nachrichten augenblicklich über die ganze Welt, sondern auch Ideologien, Propagandamaterial und die Möglichkeit, neue Mitglieder anzuwerben, kommen diesen radikalen Gruppen zugute. Der Daesh, der sogenannte „Islamische Staat“, hat dies fast schon perfektioniert und tausende junge Menschen in Kriegsgebiete gelockt um zu kämpfen, zwangsverheiratet zu werden und zu sterben. Jugendliche vor Ort wurden direkt angeworben oder einfach entführt und zwangsrekrutiert. Gleichzeitig führte ihre Onlineoffensive dazu, dass rund 5.000 Personen aus Europa sich freiwillig dem Möchtegern-Kalifat  angeschlossen haben. Gerade online und ohne die nötige Medienkompetenz ist es allzu leicht, in eine sogenannte „Blase“ zu geraten und immer tiefer in das radikale Gedankengut einzutauchen.

Dies gilt bekanntlich auch im deutschen Sprachraum für Menschen, die beispielsweise anfangend mit einem Interesse an Astrologie und Homöopathie, über Monate hineinschlittern in die Welt von antisemitischen Verschwörungstheorien und Echsenmenschen, die Kindern das Blut aussaugen, um unsterblich zu sein. Seit Beginn der Covid-19 Pandemie hat sich die Masse an Menschen, die diese Verschwörungen glauben, extrem vergrößert. Telegramgruppen wie zum Beispiel die von Attila Hildmann haben über 70.000 Abonnierende und werden täglich mit Inhalten und Links zu weiterführenden „Quellen“ am Ball gehalten. Der Feind ist „das System“ (wie auch immer es genau genannt wird), man selbst ist Teil einer eingeschworenen Gruppe, die im Namen der gesamten Menschheit gegen das „Böse“ und für eine bessere Welt kämpfen muss. Die Sprache ist sehr zugespitzt und hochemotional, Hildmann schickt sehr oft längere Sprachnachrichten mit wirrem und ebenfalls sehr emotionalem Inhalt oder kleine Umfragen um Interaktion (und damit Bindung) zu erzeugen.

Attila Hildmann - Verschwörungstheorie

Nicht nur was ihre Methode beim Anwerben neuer Mitglieder betrifft, ähneln sich moderne radikal-islamistische Organisationen, inzwischen anerkennt z.B. auch der Gründer der österreichischen Identitären die Taliban als eine Gruppe mit ähnlichen Zielen. Man freut sich auf eine Welt ohne Dragqueens, Homoparaden oder „Menschenrechtsideologien“. Auch in den USA gibt es zahlreiche Bewunderer:innen für den Erfolg der Taliban in ihrer Eroberung des gesamten Landes. Die durch das Trumpregime befeuerten Rechtsradikalen, deren Seilschaften bis hinein in die obersten Kreise der Republikanischen Partei reichen, fühlen sich durch die Geschehnisse in Afghanistan bestärkt. Man teilt die „Liebe zum Vaterland, zur Freiheit und zur Religion“, die rechtsextreme Gruppe „Proud Boys“ schreibt sogar „Wenn weiße Männer im Westen den gleichen Mut hätten wie die Taliban, würden wir derzeit nicht von Juden regiert werden.“ Fraglich ist, ob diese rechtsextremen Gruppen jemals aktiv zusammenarbeiten, oder ob es bei einer einseitigen Glorifizierung der Taliban durch westliche Rechtsextreme bleibt. Was schon klar erkennbar ist, sind die Ähnlichkeiten beim Anwerben von neuen Mitgliedern, bei ihrer proaktiven Nutzung des Internets als Plattform und allem voran natürlich ihrer Weltsicht. Sie sind alle Kinder derselben Idee und teilen sich ein ähnliche, furchtbare Zukunftsvision.

Quellen:

https://www.fr.de/politik/usa-weisse-rassisten-afghanistan-taliban-vorbild-90956549.html

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-falsche-propheten-101.html

Titelbild (C) Stephen Melkisethian, Arnold Platon, ResoluteSupportMedia

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