Das AMS Niederösterreich hat im Oktober 2020 ein einzigartiges Projekt gestartet: MAGMA – Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal. Es ist das weltweit erste Projekt, das bis 2024 allen Langzeitarbeitslosen in der Region einen Arbeitsplatz garantiert. Wir haben den AMS-NÖ Chef Sven Hergovich dazu befragt. 

P: Lieber Sven, vielen Dank dass du dir die Zeit für Politikon nimmst! Das Projekt MAGMA wurde letzten Oktober gestartet und garantiert allen Langzeitarbeitslosen in Gramatneusiedl bis zum Jahr 2024 einen Arbeitsplatz. Wie ist diese Idee entstanden? Warum habt ihr euch genau für Gramatneusiedl entschieden? 

Bild von Sven Hergovich. Landesgeschäftsführer des AMS Niederösterreich.

SH: In der Arbeitsmarktpolitik wird international schon lange intensiv über die Idee der Arbeitsplatzgarantie diskutiert, es wurde aber noch nirgendwo ausprobiert. Wir haben uns gedacht, es wäre doch interessant, es auszuprobieren und hier Fakten für die Debatte zu schaffen. Es war uns auch sehr wichtig das Projekt wissenschaftlich begleiten zu lassen und wir sind sehr froh, dass wir dafür die Universitäten Wien und Oxford gewonnen haben, die das ganze wirklich unabhängig messen. Die Fragestellung des Projektes ist ja in Wahrheit die Umkehrung der traditionellen Marienthalstudiei: damals hat man sich angeschaut, dass und warum es Menschen schlechter geht, wenn sie in Arbeitslosigkeit abrutschen. Heute wollen wir das Gegenteil zeigen, nämlich dass es Menschen besser geht und wie genau es sich auswirkt, wenn sie aus Langzeitarbeitslosigkeit wieder in Arbeit kommen. Wir schauen uns aber auch die ökonomischen Effekte an: Gelingt es wirklich, die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich stärker zu senken als in anderen vergleichbaren Gemeinden? Wie wirkt es sich auf die lokale Wirtschaft aus? Gibt es Verdrängungseffekte? Alle diese Fragen werden wissenschaftlich sauber behandelt.  

Warum Gramatneusiedl: Wir wollten für diese Studie eine Gemeinde finden, die von ihrer Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit in etwa dem österreichischen Schnitt entspricht. Gramatneusiedl war eine von drei Gemeinden, die bei dem Auswahlprozess übriggeblieben sind und dann war für uns natürlich der ausschlaggebende Faktor der Bezug zur historischen Marienthalstudie, die ebenfalls hier durchgeführt wurde.  

Die jetzige Covid-19 Pandemie hat ja auch starke Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Verzerrt die Pandemie und die daraus entstehende Arbeitslosigkeit nicht die Ergebnisse? 

Die Pandemie hat viele Auswirkungen auf uns, vor allem macht sie das Projekt aus meiner Sicht noch viel wichtiger. Das Projekt „Langzeitarbeitslosigkeit“ an sich ist durch die Pandemie um vieles größer und bedeutender geworden. Wir haben jetzt so viel mehr Arbeitslose und Langzeitarbeitslose, damit sind Lösungen für Arbeitslosigkeit noch viel wichtiger als vorher gewordenii. Dieser Befund gilt ja nicht nur für Österreich, sondern eigentlich für die gesamte westliche Welt. Also es macht es wichtiger auf der einen Seite, auf der anderen Seite macht es alles auch viel schwieriger, denn wir brauchen zum Beispiel im Modellprojekt jetzt viel mehr Plätze.  Da es eine Arbeitsplatzgarantie bis 2024 ist muss ich wissen, wer in zwei Jahren Langzeitarbeitslos sein wird und wie ich der Person einen Job garantieren kann. Das macht es natürlich um einiges komplizierter, gleichzeitig ist die individuelle Betreuung mit den Abstandsregeln und Sicherheitsvorschriften auch nicht einfacher geworden.  

Je nachdem wie man misst kommen wir momentan in Österreich auf bis zu 180.000 Menschen, die seit über einem Jahr auf Jobsuche sind.  

Das ist extrem viel, das ist ganz Floridsdorf und noch ein paar Grätzeln aus der Donaustadt dazu, im Vergleich. 

Es ist auf jeden Fall unglaublich viel und was man nicht vergessen darf, es stehen ja IMMER Schicksale dahinter. Das ist nicht nur eine Zahl, sondern das sind Menschen, für die das einen riesigen Unterschied macht. Meine Berater:innen vor Ort erleben das jeden Tag, die müssen jedem einzelnen Menschen in die Augen schauen und ihnen sagen, ob sie einen Job für sie haben oder nicht.  

Statistik zu Langzeitarbeitslosigkeit in Österreich. Ca. 50000 in 2018. Ca. 100000 in 2021

Was genau sind das für Maßnahmen, die bei diesem Projekt eingesetzt werden? Es wird ja einerseits sehr viel auf Schulungen und individuelle Betreuung gesetzt und gleichzeitig auch auf das Setzen von finanziellen Anreizen bei den Unternehmen. 

Es ist ein Maßnahmenmix: es startet immer mit einer Abklärung des Status Quo, dann wird ein Perspektivenplan erarbeitet und man schaut sich an, was der/diejenige braucht, was gibt es für zusätzliche Betreuung z.B. im gesundheitlichen Bereich, in der Suchtberatung, etc. Wir haben da ein großes Team an Unterstützer:innen, z.B. auch Psycholog:innen oder Sozialarbeiter:innen. Dann ist das oberste Ziel eine Arbeitsaufnahme im ersten Arbeitsmarkt, dafür fördern wir zusätzliche Jobs mit bis zu 100%. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass es nicht genug willige Arbeitgeber gibt und da schaffen und finanzieren wir dann wirklich einen zusätzlichen Arbeitsplatz. Das machen wir vor allem in Kooperation mit der Gemeinde und mit gemeinnützigen Vereinen. Es sind ganz unterschiedliche Jobs von der Grünraumpflege hin zu Projekten im Kunstbereich oder einem Job im Kindergarten. Natürlich geht´s da auch darum, was die Personen können und wollen. Unsere These ist: 

Langzeitarbeitslosigkeit ist irrsinnig teuer und es kostet uns als Gesellschaft in Wirklichkeit gleichviel, ob wir Langzeitarbeitslosigkeit finanzieren, oder ob wir Arbeit finanzieren. 

Das ist die Hypothese die wir jetzt auch abtesten wollen. 

Darum nehmen wir lieber Geld in die Hand um Jobs zu schaffen, anstatt das System Arbeitslosigkeit aufrecht zu erhalten.  

Gibt es schon einen kurzen Zwischenbericht? 

Noch nicht, die Einstiege ins Projekt waren geteilt und sind teils erst im Februar 2021 erfolgt. Was wir jetzt schon sehen ist, dass Gramatneusiedl eine von sehr wenigen Gemeinden in Niederösterreich mit sinkender Arbeitslosigkeit ist. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat momentan sogar den stärksten Rückgang in ganz Österreich. Konkretere Ergebnisse werden wir aber frühestens im Sommer präsentieren können und auch erst ab 2024 dann wirklich anhand der Evaluierung alles Weitere diskutieren. Wir sind da völlig ergebnisoffen. 

Der Ursprung der jetzigen Studie ist ja die erste Studie zu den Arbeitslosen von Marienthal. Eine der Autor:innen, Marie Jahoda, hat später sehr viel über die sozialen und gesellschaftlichen Erfahrungen von Arbeit geschriebeniii. Wie ist dein Zugang zur Arbeit? Gibt es einen „Mehrwert“, der über das Gehalt hinaus geht? 

Auf jeden Fall! Ich glaube, dass Arbeit für die Menschen extrem wichtig ist und gar nicht hoch genug in der Bedeutung geschätzt werden kann. Das erlebt man auch immer wieder gerade wenn man mit Arbeitslosen zu tun hat. 

Arbeit finden, das heißt ja nicht nur „Ich habe wieder Arbeit“ sondern „Ich habe wieder mein eigenes Geld“, „Ich habe wieder Respekt und Anerkennung“, „Ich habe wieder Würde und meinen Platz in der Gesellschaft“. Das macht ganz viel mit den Menschen. 

Jetzt kann man diskutieren ob man diesen hohen Stellenwert der Arbeit in der Gesellschaft haben will oder nicht, aber Tatsache ist, dass unsere Gesellschaft zumindest jetzt so strukturiert ist.

Die Arbeitslosen von Marienthal

Neben der Sicherung von Arbeitsplätzen, was sind deiner Ansicht nach weiteren politischen Maßnahmen, die den Druck vom Arbeitsmarkt nehmen können? 

Ein wichtiges Instrument ist tatsächlich die Kurzarbeit, die ja letztlich eine Form der geförderten Arbeitszeitverkürzungiv ist. Sie hat aus meiner Sicht gerade jetzt in der Krise sehr gut gezeigt, dass sie wirkt und dass sie viele Beschäftigungsverhältnisse sichert. Ein zweiter Faktor sind auf jeden Fall Ausbildungen. Was wir auch sehen ist, dass es Bereiche gibt in denen sehr viele Stellen offen sind und andererseits Bereiche, in denen sehr viele Menschen Arbeit suchen, und diese stimmen nicht überein. Das heißt es macht schon Sinn, hier gezielt auszubilden und wir wissen auch, dass Menschen die nur einen Pflichtschulabschluss oder gar keine abgeschlossene Bildung haben, wesentlich häufiger und länger arbeitslos sind. In diesem Zusammenhang muss man auch über die finanzielle Absicherung während der Ausbildung nachdenken.  

Wir warten schon gespannt auf die Ergebnisse der MAGMA Studie und halten euch gerne am Laufenden.  

Kommentiere den Artikel

Bitte gebe deinen Kommentar ein!
Bitte gebe hier deinen Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.