Meine Tochter war gerade ein Jahr alt, als ich arbeitslos geworden bin. Ich stand unter Schock. Wie konnte mir das passieren? Warum ausgerechnet mir? Und vor allem: Wovon soll ich jetzt meine Tochter ernähren?

Wie es ist, als junger Vater arbeitslos zu sein.

Wenn ich heute an diese Zeit der Ungewissheit zurückdenke, weiß ich eines ganz genau: Arbeitslos zu sein ist keine schöne Sache. Es ist kein Vergnügen, keine freie Entscheidung, für die man sich aus Faulheit oder Bequemlichkeit heraus entscheidet. Ganz im Gegenteil: Arbeitslos zu sein, das ist immer noch ein tabuisiertes Thema. Arbeitslosigkeit deprimiert. Arbeitslose gelten als Versager, als Schmarotzer, als Nichtsnutze. Arbeitslose Eltern gelten als Rabeneltern. Arbeitslosigkeit ist nicht nur mental zerstörerisch.
Sie ist existenzbedrohend. Vor allem für das Leben einer jungen Tochter.

Gerade zum Schutz unserer Kinder sind wir es einander schuldig, in dieser Notlage füreinander da zu sein.

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Am Anfang waren zwei Erwachsene in Vollbeschäftigung. Mit dem Wunsch, eine Familie zu gründen.  

Bereits kurz nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, fand ich einen Job. Gemeinsam mit meiner Freundin, die ebenso wie ich in Vollzeit arbeitete, hatten wir gerade so genügend Mittel, um unser kleines Kind zu versorgen. Nach den prekären Jahren als Student, in denen ich mich stets zu entscheiden hatte, entweder schnell mein Studium durchzuziehen oder eben länger für das Studium zu brauchen, daneben zu arbeiten und dafür auch mal essen gehen zu können, war es eine großartige Abwechslung gewesen endlich auch mal ein bisschen „zu viel“ Geld am Ende des Monats übrig zu haben.

Zum Beispiel, um eine Familie zu gründen. Weil wir beide den tiefen Wunsch hatten, Eltern zu werden und keinerlei finanzielle Nöte hatten, waren wir bald zu dritt. Mit dem Älter-Werden ist es wie mit dem Eltern-Werden: Es ändert einfach alles. Auf die Geburt unserer Tochter folgte die größere Wohnung in der netteren Gegend. Und darauf folgten auch bald schon die deutlich höheren Ausgaben.

Aber wenn man genügend Geld hat, sieht man darüber hinweg. Man denkt eigentlich an alles – außer an Geld. Denn wenn man Vater wird, dann sieht man die Welt gezwungenermaßen mit anderen Augen.

Nachdem ich aus der Karenzzeit zurückgekommen war, hat mir die Firma dann plötzlich die Stunden reduziert. Und selbst wenn unsere finanzielle Situation damit schon etwas schwierig geworden war, war es auch dann noch zu bewältigen. Aber rasch kamen noch mehr Dinge dazu, die den Arbeitsalltag unangenehmer machten. Manchmal hatte ich heimlich darüber nachgedacht, mir einen neuen Job zu suchen. Etwas Anderes. Aber Kündigen? Davor hatte ich Angst: Das Risiko, arbeitslos zu werden, das war mir einfach zu hoch.

„Vater zu werden, das ändert einfach alles. Arbeitslos zu werden, auch.“

„Du bist jetzt nicht mehr nur für dich selbst verantwortlich. Du bist jetzt Vater. Und als Vater geht man so ein Risiko nicht mehr ein“, dachte ich mir. Und darum habe ich einfach weiter gemacht.

Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände musste ich dann trotzdem irgendwann gehen. Immerhin blieben da noch die drei Monate Kündigungsfrist, um etwas Neues zu finden. Aber das hat nicht funktioniert.
Und dann war er plötzlich da: Der Tag, an dem ich offiziell arbeitslos wurde.

Was ich damals noch nicht wusste: Das würde die nächsten neun Monate so bleiben.

Durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in Tagen in Österreich 2020 nach Grad der Ausbildung
Durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in Tagen in Österreich 2020 nach Grad der Ausbildung

Anfänglich versucht man sich das noch schön zu reden. Obwohl ich schon gefühlt eine halbe Ewigkeit – nämlich sogar schon als ich noch einen Job hatte – nach einer neuen Anstellung suchte, hatte ich mir eigentlich keine großen Sorgen gemacht. Schließlich hatte ich ja zum damaligen Zeitpunkt einen Job. Und neben einem Vollzeitjob eine Arbeit zu suchen – das klappt doch sowieso nie, oder? „Sobald ich dann richtig Zeit habe, finde ich bestimmt etwas“, dachte ich mir deshalb. Und so machte ich einfach weiter.

Nichts als Glück war es jedenfalls, dass unsere Tochter erst im September in die Kinderkrippe gekommen ist. Während meine Freundin bereits seit August wieder in einem Arbeitsverhältnis war, habe ich dann mit meiner Tochter die Eingewöhnung gemacht. Das habe ich sehr genossen – auch wenn es nicht immer einfach war. Außerdem habe ich es als kleines Trostpflaster empfunden, weil ich zuvor ja auch nur zwei Monate in Karenz sein konnte.

Irgendwann war aber auch das vorbei. Und dann? Dann steht man vor dem Nichts. Denn dann ist man einfach nur noch arbeitslos. Und das ändert dann alles. Arbeitslosigkeit ist ein frustrierender, zutiefst entmutigender und demütigender Zustand, der jeden Tag ein bisschen mehr Kraft und Identität kostet. Man verliert das Wertgefühl gegenüber sich selbst. Denn ohne Arbeit fehlt es einem nicht nur an Geld, es fehlt auch an einer wichtigen Kraft- und Identitätsgrundlage. Während alles in einem drin anders wird, bleiben manche Dinge gleich: Die Welt, um einen herum, blieb gleich teuer. Die Rechnungen blieben gleich unbezahlbar. Und auch mein Konto, das blieb gleich leer.

Dafür veränderten sich meine Ansprüche mit jeder Absage für eine Bewerbung.
Schon wieder nicht in der zweiten Runde des Bewerbungsprozesses? Dann werden die Ansprüche eben wieder ein klein wenig nach unten geschraubt. Und während damit das Selbstwertgefühl immer weiter sinkt, steigt die Scham ins Unermessliche.

„Arbeit bestimmt die Identität und das Selbstwertgefühl des Menschen und sichert die soziale und wirtschaftliche Basis der Gesellschaft“

Dr. Bruno Kreisky

Und diese Momente voller Scham, die wurden irgendwann zur Alltäglichkeit. Zum Beispiel damals, als ich hoffte, dass die Nachbarin nicht ausgerechnet in dem Moment den Teppich am Fenster ausklopft, als ich wieder nach Hause gekommen war. Dabei hatte ich doch nur meine Tochter in den Kindergarten gebracht.
Aber natürlich war sie da, die Nachbarin. Und mit ihren Blicken kam auch wieder die Scham. Hatte sie mich gerade beim Arbeitslos sein ertappt? Irgendwann begann ich, alles persönlich zu nehmen.
Ich meine: Wie oft kann man bitte denselben Teppich ausklopfen?

Und diese Scham führt irgendwann dazu, dass man nicht mehr besonders gerne unter Leute geht. Wer kennt sie nicht – die berühmte Frage „Und was machst du so?“. Und wenn man das sagt „Was machst du so?“ meint man sowieso immer nur „Was machst du eigentlich beruflich?“.

Ich hätte mir nie gedacht, dass so etwas zu einem Problem für mich werden könnte. Aber es wurde eines.
Bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben hatte ich nie verstanden, welchen Stellenwert Arbeit in unser aller Leben einnimmt. Eine Arbeit zu haben – das bedeutet nicht nur sich mehr oder weniger Dinge leisten zu können. Es bestimmt auch zu einem großen Teil unseren wahrgenommenen Wert als Mensch – unseren Rang in der Gesellschaft.

Natürlich kann man sagen, dass die Tüchtigen vom Schicksal reich belohnt werden und die Faulen zu Recht nichts haben. Wer viel hat, der hat das eben verdient. Wer wenig hat, der hat das eben auch verdient. Jeder ist seines Glückes Schmied. Das alles kann man natürlich sagen. Aber man würde es sich verdammt leicht damit machen. Denn die Wahrheit ist etwas komplizierter.

Obwohl ich mittlerweile wieder einen Job gefunden habe, denke ich oft an die Zeit meiner Arbeitslosigkeit zurück. Denn diese Zeit hat mein Leben verändert. Heute weiß ich, dass es wichtig ist, dass wir nicht abstumpfen. Nur zu leicht vergessen wir, was uns nicht gerade unmittelbar selbst betrifft.

Und wenn wir in den Nachrichten von Arbeitslosenquoten hören, dann müssen wir immer die Menschen hinter den Zahlen sehen. Und es ist unsere Verantwortung als Gesellschaft, diese Menschen nicht im Stich zu lassen. Denn niemand ist aus freien Stücken arbeitslos.

Kommentiere den Artikel

Bitte gebe deinen Kommentar ein!
Bitte gebe hier deinen Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.