Ausbeuterische Arbeitsbedingungen, sexuelle Übergriffe, Mobbing: Die wahren Kosten unseres Gaming-Vergnügen. 

8 Milliarden Dollar. Das ist der Jahresumsatz für 2020 vom Computer- und Videospiel-Konzern Activision Blizzard. Titel wie Call of Duty, Guitar Hero oder World of Warcraft werfen viel Geld ab.

Während die Einnahmen sprudeln, behandelt das Unternehmen offenbar seine Mitarbeiter:innen in bester Feudalherrenmentalität wie den letzten Dreck. Zahlreiche Vorwürfe hinsichtlich Mobbing, Ausbeutung oder gar sexuelle Übergriffe stehen im Raum. Auf die Vorwürfe angesprochen gab es seitens Blizzard bislang lediglich uneinsichtige und nahezu überhebliche Reaktionen. Gleichzeitig wurde eine einschlägige Anwaltskanzlei engagiert, die auf das aktive Verhindern von gewerkschaftlicher Organisation spezialisiert ist. Der Branchenriese Amazon hatte die gleiche Kanzlei ebenfalls bereits einmal engagiert, um seine Belegschaft von gewerkschaftlicher Organisation abzuhalten.

Dieses Vorgehen zieht sich wie ein roter Faden durch die Firmenhistorien vieler Internet-Konzerne: wenn sich (benachteiligte) Mitarbeiter:innen zusammenschließen wollen, wird nach allen Mitteln der Kunst dagegengehalten, überwacht, gedroht und gekündigt. Regelmäßig werden Dienste von verschiedensten Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen in Anspruch genommen, um Mitarbeiter:innen in möglichst schwache Verhandlungspositionen zu drängen.

Vor diesem Kontext sind die mutmaßlichen Exzesse bei Blizzard keine Einzelerscheinung. Die Arbeitsbedingungen für Arbeiter:innen in der Software-Branche sind oft kaum reguliert. Doch gerade bei Videospielen spitzen sich diese Verhältnisse noch mehr zu. 

Crunch Culture

Frau verzweifelt vor Laptop
Abbildung 1: © Anna Tarazevich

Die sogenannte Crunch Time ist die sogenannte Intensivphase bei der Entwicklung von Videospielen. Damit ist eigentlich vor allem die Zeitspanne kurz vor Erreichen eines großen Zwischenzieles oder der Veröffentlichung von einem Spiel gemeint, vor allem dann, wenn vorauszusehen ist, dass man nicht im Plan ist. Während man das vielleicht selbst vor der Fertigstellung eines großen Projektes kennt, ist diese Praxis für Spieleentwickler:innen mittlerweile fast schon Alltag geworden. 

Konkret bedeutet das für die Mitarbeiter:innen: sehr viele, meistens unbezahlte, Überstunden (85 Stunden pro Woche und mehr), da sehr viel Arbeit in sehr wenig Zeit zu verrichten ist, kaum Schlaf für Mitarbeiter:innen und immenser Druck der Vorgesetzten. Diese Arbeitsbedingungen führen nicht nur dazu, dass Konsument:innen überteuerte und schlechte Produkte vorgesetzt bekommen, sondern vor allem zu körperlichen und psychischen Erkrankungen. Doch neben Folgen wie Rückenschmerzen, einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Schlafstörungen, Depressionen, Burn-Out oder sogar Suizidgedanken, wirken sich solche Arbeitsbedingungen auch auf das private Umfeld und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Betroffenen aus. Gerade im Bereich der Videospiel-Entwicklung arbeiten viele junge Personen in ihrem ersten Anstellungsverhältnis und sind durch mangelndes Wissen und Erfahrung tendenziell einfacher einzuschüchtern und auszubeuten. Kaum jemand traut sich offen darüber zu reden, da die Konsequenzen für die eigene Karriere verheerend sind. Daher gibt es vor allem anonyme Berichte oder Berichte von Personen, die dieser Branche den Rücken gekehrt haben. 

Die Spieleindustrie ist ein schnelllebiges Geschäft, in dem der Druck, neue Produkte zu liefern, stetig steigt. Gnadenloses Konkurrenzdenken und die Gier nach mehr Profit führen zu unrealistischen Deadlines, extrem knapp geplanten Arbeitsprozessen und der Erwartung, dass die Mitarbeiter:innen ohne Ausfälle und in ihrer Freizeit weiterarbeiten. Durch diese Umstände ist Crunch Time eigentlich keine Ausnahme mehr, in der Diskussion um Arbeitsbedingungen bei Videospiel-Konzernen wird nun vielmehr von einer generellen Crunch Culture gesprochen. 

Schluss mit der Ausbeuterei

Wie so oft ist durchaus mehr als genug Geld da, um Mitarbeiter:innen anständig und fair zu bezahlen. Menschen anständig zu behandeln, ist sowieso kostenlos, würde man meinen. Und doch wurde in diesem Fall offenbar absichtlich das Gegenteil gemacht.

Das ist egoistisch, radikal und nicht hinnehmbar.

Dementsprechend ist es angebracht hier zu handeln. Nun ist es klar, dass die USA ihre arbeitsrechtlichen Probleme durchaus allein lösen müssen. Doch gleichzeitig sind viele dieser Unternehmen auch in der EU tätig – wo es ebenfalls durchaus Verbesserungspotential gibt.

Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, eine gesamteuropäische Sozialpartnerstruktur aufzubauen. In diesem Rahmen sollte eine gesamteuropäische Gewerkschaftsstruktur aufgebaut werden. Diese muss in der Lage sein, für alle Arbeitenden innerhalb einer Branche Kollektivverträge abzuschließen – egal, ob Mitglied oder nicht. Diese Kollektivverträge müssen durchsetzbar sein.

Konzerne der Videospiel-Industrie und vergleichbare Unternehmen müssen zudem wirksamer Transparenz unterworfen werden. Ein wirksamer Schutz für alle arbeitenden Personen in diesem Bereich muss insbesondere auch die üblichen Umgehungskonstruktionen mitabdecken. Diese Mindestanforderungen für ein modernes und humanistisches Arbeitsrecht sind bereits seit Jahrzehnten international überfällig.

Gleichzeitig braucht es ein solide ausgestattetes europäisches Arbeitsinspektorat, das all diese Pflichten auf ihre Einhaltung hin kontrolliert und durchsetzt.

Protestschild mit Aufschrift: Fight today for a better tomorrow
Abbildung 2: © Markus Spiske

Dieses beherzte Durchgreifen ist zum Schutze der im IT-Sektor arbeitenden Menschen überfällig.

Es ist an der Zeit, dass sich radikale, ausbeuterische Unternehmen in Europa warm anziehen müssen.

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